Wer glaubt, rechte christlich-(fundamentalistische) Abtreibungsgegner_innen würden nur in den USA ihr Unwesen treiben, irrt: Auch in Deutschland demonstrieren sie vor Arztpraxen, kooperieren mit Krankenkassen und melden fleißig Demos an, bei denen sie glücklicherweise auf Widerstand treffen.
Diese Demonstrationen werden (irreführend) „Märsche für das Leben“ genannt, deren Ziel es ist, Abtreibungen zu kriminalisieren und die Selbstbestimmungsrechte von Frauen* einzuschränken. Dass Verbote von Abtreibungen lebensgefährlich sind, ist eigentlich bekannt, aber hält Abtreibungsgegner_innen nicht davon ab, gegen lang erkämpfte Abtreibungsrechte auf die Straße zu gehen.
Der in diesem Jahr in Berlin geplante „Marsch für das Leben“ findet am 22. September 2012 statt. Und damit die so genannten „Lebensschützer“ (haha, welch‘ Ironie!) auch alle schön zahlreich und preiswert nach Berlin kommen, können sie ein Spezial-Angebot der Deutschen Bahn nutzen. Oh ja, richtig gelesen!
Auf der Seite marsch-fuer-das-leben.de steht geschrieben:
Wir freuen uns, Ihnen in Kooperation mit der Deutschen Bahn für Ihre Anreise zum Marsch für das Leben 2012 und den Begleitveranstaltungen eine weitere bequeme und umweltfreundliche Reisemöglichkeit anbieten zu können: Die Deutsche Bahn stellt ein Kontingent an Fahrkarten zum Pauschalpreis zur Verfügung.
Mit dem Stichwort „Lebensrecht“ kann mensch sich ein solches Veranstaltungsticket sichern. Und am Ende heißt es: „Der Bundesverband Lebensrecht und die Deutsche Bahn wünschen Ihnen eine gute Anreise.“ Nachdem sich bereits viele auf Twitter über diese Kooperation beschwerten, kamen von der Deutschen Bahn zwei widersprüchliche Antworten:
„Die Kooperation bezieht sich nur auf das Fahrkarten-Angebot. Die DB bewertet die Art der Veranstaltung nicht.“
und:
„Wir distanzieren uns vom Inhalt der Veranstaltung, bieten lediglich ein Ticket an, das es für andere Veranstaltungen auch gibt“
Außerdem fiel das Twitterteam der Deutschen Bahn durch völlige Ahnungslosigkeit auf und behauptete, Abtreibungen seien in Deutschland nicht verboten. Dabei steht auf Schwangerschaftsabbrüche weiterhin Freiheitsstrafe. Es gibt lediglich Ausnahmeregelungen, die Frauen* und Ärzt_innen unter bestimmten Bedingungen Straffreiheit zusichern.
Meine Antwort daher:
Ich kritisiere, dass die Deutsche Bahn extreme Abtreibungsgegner_innen von „Marsch für das Leben“ (marsch-fuer-das-leben.de) Bahn-Tickets mit „Sonderpreis“ zur Verfügung stellt und eine Demonstration gegen Abtreibungsrechte damit (zumindest indirekt) unterstützt. Ich wünsche außerdem, dass in Zukunft geprüft wird, wer ein Veranstaltungsticket von der Deutschen Bahn zur Verfügung gestellt bekommt. Vergünstigte Preise wünsche ich mir insbesondere für Menschen, die auf feministische Demos fahren und für Abtreibungsrechte kämpfen.
Und: Ich wünsche nicht, dass meine E-Mail-Adresse für irgendwelche Werbezwecke gespeichert wird!
Mit feministischen Grüßen
Magda Albrecht
Mädchenmannschaft e.V.
Also: Beschwerden über E-Mail (veranstaltungen@deutschebahn.com), Twitter (@DB_Bahn), facebook.com/deutschebahn oder anrufen (01805 311 153 – kostenpflichtig!). Gerne kann meine Antwort (auch abgewandelt) dafür genutzt werden.
Mh, tja. Kontingent für die Veranstaltung einfach wegkaufen bevor die eigentliche Zielgruppe was von abbekommen kann?
Reise nach Berlin lohnt sich schließlich immer, oder? ;)
Leider gibt es kein „Recht auf Abtreibung“, nur Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen.
Und fundamentalistisch muss mensch hier nicht in Klammern schreiben, finde ich.
@Natalie,
haha, auch nicht schlecht! Wenn mensch die Teilnahme an der Demo nicht nachweisen muss (bzw. einfach verschweigt, dass mensch die Gegendemo anzielt), sollte das vielleicht klappen…?
@Nathalie @Magda
War auch mein erster Gedanke. Wie wollen die das kontrollieren, wer zu welcher Demo geht? Aber bei meinem Glück setzen die alle Kontingentkartenkäufer_innen in einen Wagen. Der Gedanke, eine mehrstündige Fahrt mit diesen Leuten zu verbringen, ist mir unheimlich. (Die Fahrkarten aus dem Kontigent sind übrigens für die Strecke München-Berlin nicht billiger als ein ganz normaler Sparpreis mit Zugbindung und Bahncard 25.)
Ein besonderer Hohn ist vor diesem Hintergrund das Angebot, das die Bahn für Familien (oder das, was sie darunter versteht) vorhält…
Danke für den Hinweis.
Meine Antwort an die Bahn:
Sehr geehrte Menschen bei der DB,
auch ich schließe mich der Kritik vieler anderer an und frage mich, was für eine Unternehmenspolitik sie eigentlich verfolgen.
Ich bin gerne Bahnfahrer_in, habe seit Jahren eine Bahncard, und verteidige auch häufig die Verspätungen gegenüber notorischen Nörgler_innen, da m.E. der öffentliche Nahverkehr eine schätzenswerte und förderungswerte Sache ist.
ABER DOCH NICHT SO!
Sicherlich ist es das gute Recht einer Veranstaltungsgruppe sich nach einem vergünstigten Fahrangebot zu erkundigen, und unter vielen Umständen, ist es einigermaßen unzweifelhaft, dieses zu gewährleisten, da es sich zwar auch hier u.U. um religiös oder politisch motivierte Veranstaltungen handeln mag, diese sich jedoch durch Meinungsvielfalt und kontroverse Diskussionen ausgezeichnen.
Ich kritisiere daher, dass die Deutsche Bahn extremen Abtreibungsgegner_innen von „Marsch für das Leben“ (marsch-fuer-das-leben.de) Bahn-Tickets mit „Sonderpreis“ zur Verfügung stellt und eine Demonstration gegen Abtreibungsrechte damit (zumindest indirekt) unterstützt.
Es wäre in Zukunft wünschenswert, dass zumindest geprüft wird, welche Ziele eine Veranstaltung verfolgt, bevor entschieden wird, wer ein Veranstaltungsticket von der Deutschen Bahn zur Verfügung gestellt bekommt. Und Abtreibung zu dämonisieren (es geht dabei schließlich nicht um Aufklärung, sondern bloß um Verurteilung!) kann nun wirklich kein angemessner Grund sein, eine Ermässigung zu erhalten.
Zudem bin ich ob der offensichtlichen Unwissenheit in ihrem Team für Öffentlichkeitsarbeit zum Einen gegenüber der rechtlichen Lage zu Abtreibungen in Deutschland, zum Anderen gegenüber der Auswirkungen von Veurteilung und Verbot von Abtreibungen, wie sie sich weltweit darstellen, schockiert. Wenn Sie auf Kritik antworten, sollten Sie zuvor evtl. 2 Minuten recherchieren. Es handelt sich bei Ihrem Unternehmen nicht um einen Familienbetrieb mit 3 Mitarbeiter_innen, und es wirkt reichlich unprofessionell, sich mit unzureichender Ahnung von gefällten Entscheidungen zu distanzieren (dafür sind Ihre Tickets dann doch zu teuer). Es sollte Ihnen zumindestens bewusst sein, wie hart umkämpft das Thema Abtreibung auch in Deutschland noch ist.
Mit feministischen Grüßen
Ich finde das jetzt nicht verwerflicher, als wenn ein Energiekonzern den Strom für eine Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl liefert. Das Problem liegt wo anders, und nicht bei der Bahn. Die bieten schließlich auch Kontingente für alle möglichen anderen Veranstaltungen an.
die kritik kann ich inhaltlich, aber ehrlich gesagt nicht mit blick auf die fahrkarten verstehen. im text bzw. der antwort an die bahn, wird gefordert, dass die käufer von tickets überprüft werden und nur bestimmte veranstaltungen gefördert werden. das finde ich gefährlich. wer soll denn diese entscheidung treffen und nach welchen kriterien? da würde ich nochmal überlegen, was ein solches vorgehen heißen könnte. der zweck heiligt nicht die mittel.
warum man hier die bahn angreift, leuchet mir nicht ein. warum nicht direkt die veranstalter?
@ Daniel Bohrer
Korrekt, das Problem ist: Einschränkung von reproduktiven Rechten und Sexismus. Und die Deutsche Bahn kann entscheiden, ob sie so etwas unterstützt oder nicht.
@ Marc
Die Veranstalter_innen werden ebenso kritisiert (eine kleine Recherche auf diesem Blog zu „Abtreibung“, „Demonstration“ und „1000 Kreuze in die Spree“ zeigt auf, dass an den Veranstalter_innen kein gutes Haar gelassen wird)
Und ja: Ich finde es legitim, dass nicht alle Menschen auf solch ein Angebot zurückgreifen können. Die Deutsche Bahn sollte keine Nazis oder extreme Abtreibungsgegner_innen etc. zu ihren Demos kutschieren.
Vllt. ist diese facebook-Seite effizienter? Die hat mehr „fans“ und so erreichen die Widersprüche wahrschelich mehr Außernstehene: http://www.facebook.com/#!/dbbahn
@ Marc: Ist ja nicht verboten, dass die DB die Veranstaltungen fördert, die sie fördern will. Aber solche Förderungen werden immer nach irgendwelchen Kriterien entschieden, da diese ja Marketinginstrumente sind. Und da kann man sich doch schon fragen, was für ein Image die DB sich mit sowas aufbauen will. Und sie darauf aufmerksam machen, dass man das nicht in Ordnung findet….
Ich glaube nicht , dass es darum geht, dass die DB die Demo-Teilnehmer boykottieren soll (ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, das darf die DB gar nicht), aber es ist ein Unterschied, ob man solche Leute mitfahren lässt oder sie aktiv sponsert und unterstützt.
@Magda: mir ist klar, dass es die kritik an den veranstaltern gibt. und das ist sehr gut so und da habt ihr meine volle unterstützung. das sollte nicht heißen, dass in diese richtung nichts passiert ist. wahr vielleicht etwas unglücklich formuliert.
@Magda und @Nat: wenn ich das verlinkte angebot der db sehe, dann kann so ziemlich jeder ein angebot für ein veranstaltungsticket bekommen, der eine veranstaltung in relevanter (also für die bahn kommerziell relevanter) größe plant. auf mich wirkt das nicht wie sponsoring oder unterstützung.
wenn es sich um ein „sponsoring“ oder eine ernsthaft kooperation handelt, dann ist die kritik angebracht und der hinweis darauf, wen man hier unterstützt wichtig. ist es nur eine form von ticketkauf, die zu jeder entsprechend großen veranstaltung machbar ist, dann halte ich sie nicht für zielführend.
ausserdem finde ich es ebenfalls wichtig, dass man eben nicht kontrolliert, wer mit welchen ansichten ein ticket zu welchen konditionen kauft.
mit gefällt aber die idee, dass man das kontingent für einen ausflug nach berlin nutzt. und angst davor, dass man mit leuter überzeugten besuchern des marsches im abteil sitzt sind wohl nicht nötig. es gilt ja von jedem beliebigen abfahrtsort buchbar und ist nicht mit einer reservierung verknüpft.
Marc,
Du bist jetzt ungefähr der 100. Mensch, der darauf hinweist, dass „so ziemlich jeder ein angebot für ein veranstaltungsticket bekommen“ kann. Und *genau* das kritisiere ich. Das Argument ist daher schon fast derailing. Wie oben geschrieben und an mehreren Stellen bereits gesagt: Die DB soll prüfen, welche Veranstalter_innen solch ein Angebot wahrnehmen. Falls die DB es ok findet, christlich-fundamentlistischen Abtreibungsgegner_innen solch ein Angebot nutzen zu lassen, möchte ich gerne das Recht haben, das scheiße zu finden und von der DB eine Stellungnahme verlangen.
Und auch das:
ist ja in der Theorie ganz toll, aber heißt in der Praxis: Mensch geht die Gefahr ein, dass die eigenen Produkte von Faschos, Rechten, christlichen Fundis etc. genutzt werden. Wer das ok findet, bitte schön. Ich finde, dass das großer Mist ist.
WORD!!!! danke magda für deinen letzten kommentar! :)
Auf mein protestschreiben bekam ich am Wochenende prompt folgende Antwort der DB zurück (ging anderen vermutlich genauso, aber zur Info für alle):
„(..) wie jährlich bei vielen hundert Großveranstaltungen hat die DB auch ein Veranstaltungsticket in Verbindung mit der Großveranstaltung ‚Marsch für das Leben‘ aufgelegt. Das ist ein völlig normales Angebot, denn die DB gibt damit in keiner Weise eine inhaltliche Stellungnahme oder Wertung zu den Zielen der Veranstaltung ab und tritt auch weder als Sponsor noch als Unterstützer dieser Aktion auf. (…)“
Ich rege mich sehr über die unverhohlen gedruckte Lüge („keine Unterstützerin der Aktion“) auf und überlege, nochmal zu reagieren. Wird das wohl was bringen? Wie geht ihr damit um?
@ Ally
Dazu gab es noch einen Follow-Up:
http://maedchenmannschaft.net/update-deutsche-bahn-findet-es-voellig-normal-abtreibungsgegner_innen-billiger-zu-transportieren/
Danke für die Info! Da war ich wohl nicht so helle.. ;)
Liebe Alle,
da Angebot besteht noch immer und auch das DB-Logo ist noch auf den Veranstaltungsplakaten zu sehen. Für alle die das ebenfalls nicht okay finden gibt es hier eine Petition, die Neutralität von der Deutschen Bahn fordert: http://change.org/dbneutral